Zwischen Leben und Rückschau

 

Über einen sehr persönlich gehaltenen Klavierabend mit dem Pianisten und Komponisten Martin Stadtfeld im Zentrum

 

Konzert der Kulturfreunde Bayreuth: Klavierabend mit dem Pianisten Martin Stadtfeld
Martin Stadtfeld im Europasaal des Zentrums Fotos: Harbach

 

“Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, Leben muss man es vorwärts”, so in etwa hat es einmal der dänische Philosoph Søren Åbye Kierkegaard formuliert. Und damit einen Leitsatz geprägt, den jedermann irgendwie im Gepäck hat. Allein, wann packt man ihn schon aus? – Selten, man muss schon mit der Nase darauf gestoßen werden.

 

Wie etwa beim Sinnieren über den Klavierabend am vergangenen Mittwochabend im Zentrum. Die Kulturfreunde Bayreuth hatten zum Sommerkonzert mit Martin Stadtfeld geladen. Und der wiederum hatte ein Programm mitgebracht, das man mit Fug und Recht als ambitioniert bezeichnen konnte. Mit zwei Monumenten der Cembalo-, respektive Klavierliteratur, nämlich Bachs Französischer Ouvertüre in h-moll, BWV 831, und Beethovens Klaviersonate op. 111 in c-moll. Dazu noch zwei eigene Kompositionen, - „Lieblingsstücke“, wie Stadtfeld sie titulierte. Zwei elegant und eingängig formulierte, akkurat und leichtfüßig vorgetragene Miniaturen, in denen Stadtfeld gekonnt Themen aus Georg Friedrich Händels Opern- und Oratorienwelt verarbeitete. Sie dienten dem Durchatmen, dem Luftholen. Denn sowohl Bachs Ouvertüre als auch Beethovens letzte Klaviersonate fordern Tribut, da sie alles andere als leicht zu fassen sind. Wie das eben so ist, wenn in Musik Schlussstriche gezogen werden. Wobei sich Bachs Bilanz gänzlich anders ausnimmt als die Beethovens. Irgendwie positiver, nach vorne gewandt. So kann man zwar Bachs Ouvertüre, 1735 publiziert, durchaus als Abgesang auf die damals im Absterben begriffene Kultur der Suite verstehen. Doch in der Tendenz ist hier keine Verzweiflung hörbar, sondern eher eine nüchterne Bestandsaufnahme. Ein tief gründendes Werk mit ungewöhnlich ausführlichem Eröffnungssatz, reich an Reminiszenzen. Eine Komposition, in der sich Bach noch einmal vor der Kunstform der Suite verneigte und alles hineinlegte, was ihm heilig, ernst und wichtig war.

 

Stadtfeld hat, nach jahrzehntelanger Beschäftigung, wie er im Konzert bekundete, endlich einen Zugang für sich zu dieser Komposition gefunden. Nämlich die Passion, die im Schaffen Bachs eine zentrale Rolle einnimmt. Ob dieser Schlüssel nun passt, darüber lässt sich trefflich diskutieren, eine Option ist er allemal. Denn das führte Stadtfeld am Flügel überzeugend und eindrucksvoll vor. Der Dialog, der Disput, der den Einführungssatz charakterisiert, die klagende Sarabande, die geheimnisvolle zweite Bourrée bis hin zu dem die Ouvertüre abschließenden Echo – bei Stadtfeld haben alle Sätze dieses Werks einen ernsten und bedeutsamen Unterton. Und man versteht, dass selbst ein Werk, die größtenteils aus Tänzen besteht, durchaus Rückschau sein kann.

 

Möglich macht dies Stadtfelds Spielkultur. Denn die ist schlichtweg phänomenal. Ein Pianissimo wie ein Hauch, ein Echo, das scheinbar aus dem Nirgendwo kommt, ein Fortissimo, das grell durch den Raum schneiden kann. Beim Zuhören sorgt das für eine enorme Farbenvielfalt, was wiederum Transparenz und damit Klarheit schafft. Und genau das, so der Eindruck, ist Stadtfeld eminent wichtig; sein Auditorium soll verstehen, was es hört.

 

Eine Maxime, die konsequent durchgehalten, Hörgewohnheiten auf den Kopf stellen kann. Was, zugegeben, auch ganz wohltuend sein kann. Wenn etwa Beethovens berühmt-berüchtigte letzte Klaviersonate, op.111 in c-moll, nicht an einem vorbeirauscht, als gäbe es kein Morgen mehr. Wenn es einem also gestattet wird, dem Menschen Beethoven zuzuhören, seinen Depressionen, seiner Wut über sein Schicksal nachzuspüren. Stadtfeld gewährt einem diese Zeit, mehr noch, er schafft Bilder; die Virtuosität, die dieser Sonate auch zu eigen ist, bleibt da natürlich etwas auf der Strecke. Oder auch nicht, weil sie in Stadtfelds Interpretation nach innen gerichtet ist. Denn das Bild, das er auf diese Weise von Beethoven zeichnet, ist teils verstörend - da leidet man als Zuhörer mit.

 

Umso berührender dann der Schluss; da hat einer wahrlich Frieden mit sich selbst geschlossen und akzeptiert, was nicht zu ändern ist. Normalerweise ein Schlusspunkt in jedem Konzert, doch das Leben geht ja bekanntlich weiter, schreitet voran. Weshalb Stadtfeld dem stürmischen Applaus nachgab und sich tatsächlich noch dreimal an den Flügel setzte und drei Miniaturen aus seiner Feder servierte. Das Publikum dankte es ihm mit langanhaltendem, begeistertem Applaus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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