Der Reiz des Unbekannten

Ein exquisites Vergnügen: Mit der Sinfonietta Cracovia auf musikalischer Spazierfahrt durch Polen

Konzert der Kulturfreunde Bayreuth: Die Sinfonietta Cracovia und Oboist Ramón Ortega Quero unter Jurek Dybal im Europasaal des Zentrums
Mit Temperament und Spielfreude durchs Programm: Die Sinfonietta Cracovia unter Jurek Dybal bei ihrem Gastspiel im Europasaal des Zentrums - Fotos Harbach

 Manchmal scheint alles so einfach. Ein ebenso schlüssiges wie verständliches Konzept, ein hoch motiviertes, sprich, spielfreudiges Orchester, ein Dirigent, der genau weiß, wohin er will, sowie ein Solist der Extraklasse – und fertig ist ein wundervolles Konzert!

 

So wie beim Auftritt der Sinfonietta Cracovia unter Dirigent Jurek Dybal im Europasaal des Zentrums. Aus dem Programm heraus erschloss sich dies nicht unbedingt, denn das übte sich in Bescheidenheit. Angekündigt war ein Ausflug in 400 Jahre polnische Musikgeschichte, mundgerecht serviert in Amuse-Gueules. Dazu, quasi als Dessert, als Kirsche obendrauf, sieben Lieder ohne Worte Felix Mendelssohn Bartholdys in einem Arrangement für Oboe und Streichorchester. Und damit in einer Version, die man auch nicht alle Tage hört. So gesehen, musste man nicht tief schürfen, um die Idee, die diesen Konzert befeuerte, bloßzulegen: Die Musik dieses Abends war getragen vom Reiz des Unbekannten.

 

Denn die Werke eines Grzegorz Gerwazy Gorczyckis, eines Feliks Janiewic‘ oder eines Stanisław Moniuszkos sind hierzulande kaum bis gar nicht präsent. Ein bisschen besser sieht es noch mit Karol Szymanowski sowie natürlich Krzysztof Penderecki aus. Doch wer verbindet schon Penderecki, der als einer der führenden Köpfe der polnischen Avantgarde gilt, mit Filmmusik? - Eben. Gleichwohl er in diese Richtung immer wieder angefragt wurde und auch gearbeitet hat; seine Kompositionen für dieses Genre stehen im tiefen Schatten seiner weithin bekannten anderen Werke.

 

Nicht jedoch an diesem Abend. Eine Aria, eingebettet in zwei Menuette, drei Stücke in altem Stil für Streicher, so annoncierte es das Programmheft. Musik aus der „Handschrift von Saragossa“, einer weltweit hoch angesehenen und vielfach prämierten Literaturverfilmung aus dem Jahr 1964 des polnischen Regisseurs Wojciech Has‘, für die Penderecki die Filmmusik komponierte. Die Handlung dieses Meisterwerks spielt im 18. Jahrhundert, dementsprechend verbleibt auch Pendereckis Musik in diesem zeitlichen Rahmen. Und man stellt fest, dass Penderecki auch in diesem Metier ein Meister war. Originelle Themen, originell verarbeitet und strikt im barocken Rahmen verbleibend.

 

Die Sinfonietta Cracovia unter der Leitung Jurek Dybals betonte den Tanzcharakter der Stücke und machte so daraus drei entzückende Barock-Miniaturen. Dieses Temperament, dieser Esprit, mit dem Dirigent und Orchester hier zu Werke ging, war an diesem Abend stilprägend. Denn auch in Grzegorz Gerwazy Gorczyckis „Ball Polonaise“, die das Konzert eröffnete, stürzte man sich fröhlich beschwingt hinein, den bewusst ausgestellten Rhythmus gleichsam wie einen Motor nutzend.

 

Rasant ging es denn auch in Feliks Janiewicz‘ dreisätzig angelegtem Divertimento für Streichorchester hinein, wobei sich hier und da einige Unsauberkeiten in der Intonation auftaten; man war wohl doch noch etwas nervös bei diesem ersten Konzert des Abends. Dem Gesamteindruck tat das allerdings keinen Abbruch, die Energie, die sich in der Spielfreude der Sinfonietta Cracovia mitteilte, war einfach mitreißend.

 

Und die verlor sich auch bei Karol Szymanowskis Etüde b-Moll op. 4 Nr. 3, einer eher nach innen gerichteten Orchesterstudie sowie Stanisław Moniuszkos
Streichquartett Nr. 1 in d-moll nicht. Letzteres gab es in einer geschickt ausgearbeiteten Orchesterfassung Jurek Dybals zu hören, ein Werk, in dem die Einflüsse der Wiener Klassik nicht zu überhören sind und das an diesem Abend nicht nur den Solisten, sondern auch dem Orchester reichlich Gelegenheit bot, unterschiedlichste Klangfarben zu präsentieren. Das war wirklich fein musiziert.

 

Doch damit nicht genug, dieser Abend hatte noch ein weiteres Glanzlicht in petto. Nämlich den Auftritt Ramón Ortega Queros. Ein Oboist der Extraklasse. Ein Musiker, der zu gestalten weiß. Souverän und in sich ruhend, fast schon lässig, reihte er die sieben Stimmungsbilder aus dem Kanon der „Lieder ohne Worte“ Felix Mendelsohn Bartholdys aneinander. Der Ton seiner Oboe schien im Raum zu schweben, mal hell aufleuchtend, mal wie in Düsterkeit gehüllt, mal geheimnisvoll, mal tragend – der Allgemeinplatz, dass die Oboe der menschlichen Stimme sehr nahe kommen kann, hier ward der Beweis angetreten. Die Sinfonietta Cracovia gab hierzu unter dem auf Dialog bedachten Dirigat Dybals den einfühlsamen Begleiter.

 

Den langanhaltenden, begeisternden Applaus belohnten Quero und die Sinfonietta mit einem Ohrwurm aus dem filmmusikalischen Schaffen Ennio Morricones: „Gabriel‘s Oboe“ aus dem vielfach ausgezeichneten britischen Spielfilm „The Mission“ Roland Joffés aus dem Jahr 1986.

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