Fast schon theatral

 

Welch ein Genuss! - Franziska Hölscher und das Kammerorchester des Nationaltheaters Prag im Zentrum

 

Zehntes Abonnement konzert der Kulturfreunde Bayreuth der Saison 2021/2022: Die Geigerin Franziska Hölscher und das Kammerorchester des Nationaltheaters Prag unter Petr Vronský im Zentrum - Fotos: Harbach
Mal mitreißend, mal spektakulär, mal einfach nur berückend: Die Geigerin Franziska Hölscher und das Kammerorchester des Nationaltheaters Prag unter Petr Vronský im Zentrum - Fotos: Harbach

So, so, der Herr Nachbar trägt keine Maske! – Nun denn, dürfen tut er ja nun. Gleichwohl, im Rund des Europasaals des Zentrums war er an diesem Abend zwar nicht der einzige, der auf den Mund- und Nasenschutz verzichtete, aber doch einer der ganz wenigen. Gleichwohl, das dürfte sich über kurz oder lang ändern. Insofern atmete dieses Konzert der Kulturfreunde Bayreuth, man so will, einen Hauch Frühling. Das lästige Regelwerk, das seit geraumer Zeit jeden Konzertbesuch begleitete, - endlich Schnee von gestern. Und auf der Bühne endlich wieder ein Orchester, das diese Bezeichnung auch verdient. Nämlich mit zweifach besetzten Pulten sowie Holz- und Blechbläsern in Sichtweite. Was sich im Übrigen auch ganz anders anhört, als jener weitläufigst gruppierte Klangverbund, mit dem man die vergangenen zwei Jahre – wenn überhaupt möglich – auskommen musste.

 

Der Auftritt des Kammerorchesters des Nationaltheaters Prag im Zentrum war allein deshalb schon ein Erlebnis - man ist dergleichen einfach nicht mehr gewöhnt. Zudem hat dieses Orchester, um damit endlich beim Konzert an sich anzukommen, eine ganz eigene, höchst bemerkenswerte Klangfarbe. Warm, rund und eher von einem dunklen Timbre geprägt, emotional, leidenschaftlich. Und damit ziemlich weit weg von jenem kühl glitzernden, ganz auf Eleganz, Leichtfüßigkeit und Transparenz gebürsteten Orchesterklangbild, das heutzutage in den Konzertsälen allgegenwärtig ist. Man könnte es auch so ausdrücken: Dieses Kammerorchester klingt nicht nach CD, sondern nach gutem alten Vinyl.

 

Felix Mendelsohn-Bartholdys berühmte „Hebriden“-Ouvertüre, mit der das Konzert seinen Anfang nahm, kam daher nicht im Gewand einer nüchtern gehaltenen Landschaftsbeschreibung daher, sondern eher in der Gestalt bewegter Dioramen. Da rollten die Wogen, da peitschten die Brecher; die Bilder, die das Kammerorchester des Nationaltheaters Prag unter der Leitung Petr Vronský generierten, schufen reichlich Atmosphäre und hatten Energie und Kraft.

 

Ähnlich hörte sich dies auch bei Samuel Barbers Violinkonzert op. 14 an. Was unter anderem aber auch am Spiel der Solistin, an Franziska Hölscher lag. Denn ihre Energie riss einfach mit und trieb vor allem im ersten Satz das Orchester förmlich vor sich her. Wobei auch Vronský am Pult seines engagiert mitgehenden Kammerorchesters keineswegs auf der Bremse stand. In der Folge befeuerte man sich quasi gegenseitig. Das wiederum sorgte dafür, so zumindest der Eindruck, dass die Präzision im Zusammenspiel zwischen Hölscher und dem Orchester dann und wann etwas litt. Doch angesichts der Intensität, mit der hier musiziert wurde, kann man das getrost unter nebensächlich verbuchen. Denn diese Musik lebte, generierte dichteste Atmosphäre. Speziell der wunderschön ausgeleuchtete, ruhigere zweite Satz. So wie der Rest dann, wie von Barber vorgesehen, einfach nur Rausch war. Denn Hölscher setzte das von ihm im abschließenden Satz geforderte Presto in modo perpetuo wie gewünscht um, und stürmte nach den einleitenden Paukenschlägen voran, als gebe es kein Morgen mehr. Kein Wunder, dass es dafür donnernden Applaus sowie zahlreiche Bravorufe seitens des Publikums gab.

 

Dagegen hatte es die nach der Pause dargebotene Romanze für Violine und Orchester op. 11 Antonín Dvořáks fast schon schwer. Denn dieses dreisätzige Werk ist im Vergleich zu Barbers Violinkonzert von völlig anderem Charakter: Hoch poetisch, zutiefst melancholisch und zugleich von schwebender Anmut. Die Melodieführung obliegt zumeist der Solovioline, das Orchester stellt den Unterbau. Keine überschlagende Emotionen, kein wilder Ritt der Solovioline - diese Romanze bevorzugt eher die leisen Töne. Und fordert damit ein ganz anderes Spiel. Für Hölscher offensichtlich keine große Herausforderung; auf Basis einer gut durchdachten Spielanlage bog sie behutsam und zugleich souverän die Ideen Dvořáks in Form. Da Vronský und sein Orchester diese Dramaturgie akkurat mittrugen, entstand so ein ebenso bezauberndes wie feines Stück Musik.

 

Dasselbe kann man mit Fug und Recht auch über die danach offerierte „Prager Sinfonie“ Wolfgang Amadeus Mozart sagen. Denn Vronský – er dirigierte nun auswendig – pflügte nicht durch die Partitur, sondern ließ sich hörbar Zeit und zelebrierte diese Weltmusik mit Genuss. Und das Kammerorchester des Nationaltheaters Prag zog gleichermaßen engagiert wie willig mit; im Ergebnis stand eine farbig ausgeleuchtete, ebenso beschwingte wie anmutige Interpretation. Einfach nur schön!

 

Den langanhaltenden, herzlichen Applaus im Zentrum belohnten Vronský und sein Orchester dann gleich mit zwei Zugaben. Zum einen mit einem der Slawischen Tänze Dvořáks (Nr.10 in e-moll) sowie der fulminant in Szene gesetzten Ouvertüre aus Mozarts „Le nozze di Figaro“.

 

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