Streicheleinheiten für die Seele

Musica Bayreuth: Einfach nur grandios - Georg Philipp Telemanns „Pastorelle en musique“ im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth

Musica Bayreuth 2021: Szene aus Georg Philipp Telemanns "Pastorelle en musique" in einer Produktion der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth      Fotos: Harbach      Fotos: Harbach
Barockoper in Reinkultur: Die "schlafende" und von zwei Schäferinnen behütete Caliste (Lydia Teuscher); im Hintergrund der in den Wolken schwebende und Träume erschaffende Cupido (Max Volbers) - Fotos: Harbach

 

Weniger ist oft mehr. Eine Binsenwahrheit. Viel Beachtung findet sie leider nicht. Dazu nehmen wir uns leider selber meist zu wichtig. Dabei geht es natürlich auch anders. Wie etwa am vergangenen Donnerstag- und Freitagabend im markgräflichen Opernhaus zu erleben war. Da stand, in einer szenischen Fassung, Georg Philipp Telemanns „Pastorelle en musique“ auf dem Programm. Und die war eine Offenbarung. Weil so schlicht gehalten, dass es weiß Gott keiner akrobatischen Gehirnverrenkung bedurfte, um sich Szenerie und Spiel auf einen Blick in Gänze zu erschließen.

Ein „Musicalisches Hirten-Spiel“ sollte hier geboten werden und danach sah es auch aus: Eine in blaugrünen Tönen gehaltene Waldlichtung, eingebettet in eine Landschaft mit Flusslauf, Burgen und sich im Horizont auflösendem Gebirge. Dazu passend abgestimmt die Gewänder der auftretenden Personen: Die Damen in weit fallenden, taillierten Kleidern in zarten Grüntönen, die Herren, mit einer Ausnahme, vorzugsweise im braunem Wams (Ausstattung: Johannes Ritter).

 

Ähnlich effizient gibt sich auch die Regie Nils Niemanns. Die Tableaus, in denen die auf der Bühne agierenden Figuren zumeist angeordnet sind, erschließen sich logisch aus der Handlung heraus. Kein hektisches Gerenne auf der Bühne, keine Aktion um der Aktion willen, nein, Niemanns Konzentration gilt der Position, der Haltung. Was wiederum dazu führt, dass in dieser Inszenierung Mimik und Gestik das Spiel auf der Bühne prägen. Da reichen dann kleinste Veränderungen, wie etwa das Abkippen des Kopfes, das Verdrehen der Augen, das Hängenlassen der Schultern oder die Art die Arme zu bewegen, um das Geschehen auf der Bühne zu kommentieren oder gar in eine neue Richtung zu lenken. Kurz, es war ein Genuss, diesem ebenso anmutigen wie unkomplizierten Spiel auf der Bühne zu folgen.

 

Um was es geht, ist sofort klar: Um die Freiheit in der Liebe. Caliste (Lydia Teuscher) besingt sie gleich zu Beginn und stellt dabei vehement ihre Ultima Ratio in den Raum: „Freiheit soll die Losung sein“. Ein Bravourstück, reich an Koloraturen, Verzierungen und Wiederholungen. Klar, dass sich der sie und ihr Herz anvisierende Damon (Florian Götz) daran zunächst die Zähne ausbeißt. Und in der Folge zusammenbricht und der Depression verfällt. Fortan will er nur noch eines, nämlich sterben. Sofern sie ihn nicht erhört. Was wiederum sie nicht will. Klassisch festgefahren, würde man heute dazu sagen; die Hilfe muss daher von außen kommen.

 

Wobei sie eigentlich schon auf der Bühne steht. Nämlich mit dem zweiten Paar: Iris (Marie Lys) und Amyntas (Alois Mühlbacher). Der personifizierte Kompromiss. Denn auch Iris hatte sich der Losung Calistes zunächst angeschlossen, ihren Verehrer jedoch nur zappeln lassen, ohne ihn gänzlich zu verschmähen. Das ist pragmatisch, denn es bewahrt beide davor, das Gesicht zu verlieren. Und dahin geht denn auch der Lösungsvorschlag, den die beiden für Caliste und Damon haben. Die eigene Haltung überdenken, die eigene Haltung wiederfinden, die eigene Haltung bewahren.

 

Eine Maxime, die damals im höfischen Umgang miteinander fest verankert war und mit der Musik und Text virtuos spielen. Das Schöne an dieser Inszenierung ist, dass es ihr gelingt, das Ringen um Haltung auch im Spiel auf der Bühne sichtbar zu machen. Und zwar allein durch sorgsam ausgestellte Körperspannung und Bewegungsmuster, die sich auf höfische Gesten zurückführen lassen. Mehr nicht. – Chapeau!

 

Fast noch deutlicher ist diese Auseinandersetzung um Haltung und Form allerdings in der Musik auszumachen. Denn Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700 musizieren ausgesprochen agil. Dogmatisch, im Sinne einer historischen Aufführungspraxis, klingt hier nichts; Musik und Spiel auf der Bühne greifen nahtlos ineinander, beleben und beseelen einander.

 

Konzentriert und spielfreudig geleitet das kleine Orchester das Ensemble auf der Bühne durch den Abend, befeuert, dämpft und kommentiert. Wie ein Chamäleon wechselt es, präzise gesteuert durch seine Dirigentin, die Farben und den Ton, klingt mal nonchalant französisch, feurig italienisch und schafft es sogar, musikalisch den Slapstick zu transportieren, den der Komiker des Sängerensembles, der Möchtegernliebhaber Knirfix (Virgil Harting: mit weich klingendem, hellen Tenor) gekonnt auf die Bühne bringt. Die Sicherheit, mit der Oberlinger und ihr Ensemble 1700 das Momentum des Spiels auf der Bühne treffen und aufgreifen, ist frappierend. Und man staunt über den Telemann, den man hier antrifft. Denn diese Arbeit, die auf Umwegen erst vor einigen Jahren einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte, ist ein wahres Juwel. So frisch, so heiter, so verspielt ist Telemann nur selten anzutreffen.

 

Ihren Teil dazu tragen natürlich auch die Solisten auf der Bühne bei: Durch die Bank überzeugende Gesangsleistungen mit leisen Abstrichen, vor allem bei den Herren. So wünscht man Florian Götz (Damon) in so mancher Passage ein wenig mehr Beweglichkeit in der Stimme, Alois Mühlbacher (Amyntas) hingegen, generell mehr Durchschlagskraft. Dafür entschädigen die Damen. Allen voran Marie Lys (Iris). Sie bringt eine elegant geführte, in allen Lagen wohlklingende und darüber hinaus auch agile Stimme mit und weiß diese auch klug einzusetzen. Lydia Teuschers (Caliste) hell klingender Sopran ist nicht ganz so beweglich, dafür transportiert er ganz vorzüglich Stimmungen, von schnippisch und fordernd bis nachdenklich und nach innen gekehrt.

 

Kein Wunder, dass man im markgräflichen Opernhaus geradezu verschwenderisch Beifall spendete. Was wiederum zu etlichen Vorhängen führte. Zurecht, denn diese Produktion tat einfach allen gut – Künstlern wie Publikum.

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